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„Jede Definition von Stadt rührt an die Unterscheidung zwischen Ortsansässigen und Fremden. An Sofia verblüfft zunächst, dass diese Rollen etwas durcheinander geraten sind …“ (Ivaylo Ditchev) Von Manuela Hötzl.

Sofia Nr. 27 – Stadt am Rande

Wachsende Metropole

Fast ganz im Stillen wurde am 1. Jänner 2007 Rumänien und Bulgarien zu neuen Mitgliedern der Europäischen Union. Lange Vorverhandlungen und die Debatten um die Aufnahmebedingungen der Türkei haben zwar nicht die ökonomische Mitgift für die neuen Staaten geschmälert, wohl aber das Aufgebot der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die EU-weite Katerstimmung gerät nur träge und vereinzelt über die süd-östlichen Grenzen, wo die Hoffnung auf schnelle Veränderung stetig Richtung Europa drängt. Das ist nicht nur die einzig möglich Strategie dem Fegefeuer des Postkommunismus zu entkommen, eine Ära, die wohl schwerwiegendere Nachwehen haben wird, als der Kommunismus selbst, sondern andauerndes Konzept für eine künftige Normalität.Bulgarien war schon vor dem 10. November 1989 als die kommunistische Regierung in Sofia gestürzt und eine Demokratisierung des Landes eingeleitet wurde, in einer ähnlichen Situation, wie nun in Europa. Die geografische Lage an der süd-östlichen Grenze, wie die Kleinheit des Landes mit nur knapp über sieben Millionen Einwohnern, führte zu einer Sonderstellung – gestern wie heute.
Dabei, das sei vorweggenommen, wird sich in Zukunft touristisch einiges in Bulgarien tun. Das Land ist eine Reise wert: Schwarzmeerküste und Skigebiete in idyllischen Berglandschaften bieten Sommer wie Winter attraktive Ausflugsziele. Und seit kurzem kaufen vor allem Engländer Immobilien im Lande, deren Finanzierung die Bank von England mit Sonderkonditionen unterstützt. Sie werden nicht die einzigen bleiben.

Ebenso Sofia, die Hauptstadt mit 1,3 Millionen Einwohnern, ist die mit Abstand größte Stadt in Bulgarien, hat in den letzten Jahren an Bauvolumen zugelegt. Auch nicht das ist nicht unbedingt neu für die Stadt. In den letzten 127 Jahren ist Sofia um fast das Zweihundertfache gewachsen, von 1944 bis 1989 um das Zweieinhalbfache. Der bereits oben zitierte bulgarische Philosoph und Soziologe bezieht sich bei seiner Stadtbetrachtung des Fremden „Sofia, fluide Stadt“ im Buch „Sprung in die Stadt“ auf die ständige Migration, der Sofia unterworfen war: „ein Drittel der gegenwärtigen Einwohner Sofias sind Migranten einer ersten, ein weiteres Drittel solche der zweiten Generation.“ Sofia ist seit der ethnischen Säuberung von 1877, mit dem Ende des Russisch-Türkischen Krieges, wo sich die Stadt verdoppelte, immer wieder in großen Sprüngen gewachsen – gepaart mit reger Bautätigkeit.
Auch geprägt von österreichischen Einflüssen. Zu ihnen zählten Friedrich Grünanger (Synagoge und Geistliche Akademie), Adolf Vaclav Kolar (Kriegsministerium, Militärschule, Militärklub und Vasil Levski-Denkmal), Karl Heinrich, Jiri, Josef und Vaclav Prosek. Aber auch die bekannten Ferdinand Fellner&Hermann Helmer, Viktor Rumpelmayer, Peter Paul Brang und Konstantin A. Jovanovic gestalteten Sofia mit. Von 1979 bis 1909 wuchs die Stadt von 11.000 auf 100.000 und versuchte sich mit Wien, Prag und Budapest zu messen.
Mittlerweile ist sichtbar einiges an EU Geld in die Restaurierung der Altstadt geflossen – nur die Touristenströme bleiben noch aus, um die erneuerte Stadt zu besichtigen.

Sofia liegt ruhig auf einem über 500 Meter hohen Plateau vor dem meist schneebedeckten Vitosagegebirge. Sie ist damit die höchstgelegene und südlichste Hauptstadt Europas – und eines ist bei den Sofiotern immer gleich geblieben: der Wunsch nach Eigenheim. Dieser ist Tradition und mittlerweile genetisch vererbt. Wahrlich eine Besonderheit dieser Stadt, schon vor dem Kommunismus. Die kommunistische Ära, ebenso wie die postkommunistische änderte daran wenig. Am Privateigentum der kleinen Wohnungen und Wohnhäuser wurde während der kommunistischen Zeit festgehalten und zum großen Teil auch weiter unterstützt – allerdings musste man sich als künftiger Wohnungsbesitzer Bewilligungsverfahren stellen. Ganz uneigennützig waren diese Maßnahmen nicht, konnten so die privaten Vermögen in den Wohnungen gebunden werden.
Mittlerweile wird dieser Wohnungsmarkt weiter bedient. Immobiliengeschäfte, wie in anderen ex-kommunistischen Ländern, fingen wegen des Festhaltens auf Eigentum und dem Mangel an ausländischem Kapital wesentlich geringer aus. 1985 waren 70 Prozent der Sofioter im Besitz einer eigenen Wohnung, 2001 schon 89 Prozent. Dieses Drängen nach einer eigenen Wohnung, ist so stark, dass auch auf infrastrukturelle Maßnahmen verzichtet wird. Das Fehlen von Zufahrtsstraßen oder gar Heizungen sind nicht unbedingt Hinderungsgrund beim Kauf von Wohnungen und der Mangel an diesen grundsätzlichen Dingen ist durchaus Standard. Dennoch ist der Rand von Sofia eine einzige Baustelle, deren unfertige Fassadenreihen wiederum aggressiv für weitere Projekte werben.

Wie in allen anderen postkommunistischen Ländern hat der Markt an sich mit dem hohen Anteil an Schwarzgeld zu kämpfen. Die Kuratorin Iara Boubnova meint gar: „Es gibt kein legales Kapital in Bulgarien.“ Die EU hat für die zwei neuen Beitrittsländer Schutzmaßnahmen verlangt, was vor allem die „Bekämpfung der Korruption, den Aufbau einer unabhängigen Justiz und die Schaffung funktionierender Behörden“ betrifft. Eine Situation, die, zwiespältig genug, das Baugeschäft ankurbelt. Doch der Markt bestimmt die Architektur. Öffentliche Aufträge gibt es für die ca. 2.500 Architekten in Sofia so gut wie gar nicht. Wobei die Bezahlung nach Quadratmeter erfolgt, was im Verhältnis zu anderen Berufsgruppen nicht so schlecht ist. Ein Bulgare hat normalerweise nicht einmal ein Zehntel eines durchschnittlich österreichischen Einkommens. So wird einerseits, nach den Klischees von Oststädten Geld einfach verbaut, andererseits ist der Wunsch nach Identitätsbildung für eine europäische Stadt ebenso stark.
Doch Sofia besitzt eine angenehme Mischung aus Bewahren und Erhalten der Altstadt und den Neubauten, dazwischen und am Rande der Stadt. Spekulationen im großen Stil sind in Sofia ausgeblieben, auch wenn man im Stadtkern wie überall den einen oder anderen ausländischen Investor gut ausmachen kann. Die Werbung ist aggressiv und omnipräsent. Konsum ist Teil eines Integrationsbestrebens.
Sofia will sich als mitteleuropäische Stadt präsentieren und hat dennoch ihre Eigenheiten – die zwiespältig sind. Sofia wächst in der Relation zu Größe der Stadt sehr stark, dennoch ist es nur am Rande bemerkbar. Wenn auch die Bedingungen anderen Ost-Städten ähneln, ist Sofia durchaus dem Klischee einer Ost-Stadt einer wuchernden chaotischen Struktur entkommen. Und Investoren entwickeln langsam einen besseren Geschmack, wie so mancher Architekt behauptet. Seit Jänner 2007 existiert ein neuer Masterplan für die Stadt, der sich den urbanen Regulierungen stellt. Eine junge Generation an Architekten wächst heran – was fehlt ist eine verbindenden Generation, die Generation „dazwischen“ – die in der Kunst- und Architekturwelt auf Grund von Emigration fehlt und den roten Faden, statt Brüche herstellen könnte.

Zu wünschen ist, für Sofia und andere Städte, eine europäische Diskussion, wie es in manchen Ländern schon regional beginnt. Diese Diskussionen sind nicht nur formal, sondern strukturell begründet.
Eine Stadt ist ein subjektives Kollektiv, das sich demokratisch einer urbanen Struktur bedient. Doch wie schaut Demokratie aus, die sich aus dem Kapitalismus nährt und so gut wie keine Regulierungen erfährt oder Strategien verfolgt. Oder dafür schwer Mechanismen schaffen kann, wenn selbst kein Kapital vorhanden ist. Mittlerweile findet man überall in Europa, wie das Magazin A10 zeigt, einen gewissen Standard an Architektur. Aber es ist auch eine Gleichschaltung, die die Sehnsucht nach
Nur vereinzelt gibt es NGO´s und Initiativen, die sich strukturell den neuen Bedingungen stellen. Vom Westen aus werden Projekte besprochen, die politischen Hintergründe bleiben meist im Hintergrund. Wenn sich

Aber hochoffiziell subjektiv ist Sofia eine der sympathischsten Städte, in die man reisen kann. Nur ein paar Stunden von Istanbul entfernt, findet man sich in einer lebendigen, energetischen Hauptstadt, die in der Nacht genauso lebt, wie am Tag – die gesellschaftliche Unterschiede nicht verstecken kann und offensichtlich in Bewegung ist. „Jede Definition von Stadt rührt an die Unterscheidung zwischen Ortsansässigen und Fremden“, so fremd sollte einem Sofia nicht bleiben …



International Academy of Architecture
www.iaa-ngo.or

University of Architecture, Civil Engineering and Geodesy
1 blv. Hristo Smirnenski

Union of Architects Bulgaria
www.bularch.org/home_en.ht

Architekturprojekte aus ganz Bulgarien:
www.archidea.b

Quelle: “Sprung in die Stadt“
Herausgegeberinnen: Katrin Klingan und Ines Kappert
632 Seiten mit 190 farbigen Abbildungen
Format 17 x 24 cm, gebunden,
€ 34,– / sFr. 63,–
ISBN 10:3 - 8321-7693 - 4 /
ISBN 13:978-3 - 8321-7693 - 8
(deutsche Ausgabe)
ISBN 10:3 - 8321-7712 - 4 /
ISBN 13:978-3 - 8321-7712 - 6
(englische Ausgabe)
DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln, März 2006
www.relations.d